Im August kaufte Amazon-Chef Jeff Bezos die traditionsreiche «Washington Post». Er folgte damit dem Beispiel von Warren Buffet, einem der reichsten Amerikaner, der bereits über 60 Regionalzeitungen in den USA besitzt. Im Zeitalter des Internets kann jeder sein eigener Verleger und Journalist sein. Was heisst das für die Zukunft des Journalismus?
Medienhäuser stehen vor grossen Herausforderungen und Zukunftsfragen:
- Wie werden Artikel künftig gelesen?
- Wie finanziert sich der Journalismus der Zukunft?
- Wie verändert sich die Recherche von Journalisten in der digitalen Welt?
- Welche Rolle spielen die Verlage?
Barnaby Skinner, Redaktor SonntagsZeitung, moderierte die Diskussionsrunde mit
- Edith Hollenstein, Redaktorin persoenlich.com
- Detlef Gürtler, Chefredaktor GDI Impuls
- Vinzenz Wyss, Professor für Journalistik an der ZHAW
- Res Strehle, Chefredaktor Tages-Anzeiger
Einleitend wurden die Meinungen von Schweizer Medienmanagern präsentiert zum Stand der Verlage im Jahre 2018. Nachzulesen sind sie bei persoenlich.com.
Res Strehle, wie finanziert sich Journalismus künftig? Die Paywall des Tages-Anzeigers, die «Zahlungseinladung», kam in Nutzerumfragen überraschend gut an. 40% sagen, dass sie bereit sind, für Inhalte zu bezahlen.
Der Tages-Anzeiger möchte seine Bezahlinhalte auf allen Medien anbieten. Für die Zeitung wurde bisher auch gezahlt. Dieses Konzept soll nun auch auf die neuen Kanäle übertragen werden. Das nimmt den Journalisten künftig die Angst vor Kannibalisierung, sie werden ihre Dossierkompetenz auch online verkaufen können. Dies zeugt von viel Selbstvertrauen, dass es in der Schweiz neben der NZZ auch ein zweites bezahltes Tagesmedium verträgt.
Jeff Bezos wie Res Strehle glauben an Bundles: Es werden nicht einzelne Artikel verkauft, sondern der gesamthafte Zugriff.
Die Inhalte werden aber noch multimedialer aufbereitet werden müssen, um die anspruchsvollen Leser zu befriedigen.
Edith Hollenstein: Persönlich.com plant keine Paywall, ihre Einnahmen stammen weiterhin hauptsächlich aus der Print-Publikation, u.a. weil die Online-Inserate viel günstiger sind.
Bild Plus setzt auf ein interessantes Freemium-Modell, in dem allgemeine Artikel kostenlos sind, Vertiefungen kostenpflichtig.
Im Premium-Modell bezahlt man für exklusive Inhalte, in Deutschland z.B. die Bundesliga.
Das Freemium-Modell kombiniert Gratistexte mit Bezahlinhalten.
Die Metered-Wall erlaubt eine gewisse Anzahl Gratisartikel, danach folgt eine Zahlungseinladung. Die New York Times ist mit diesem Modell recht erfolgreich. Je nach Leserverhalten ändert die Anzahl verfügbarer Gratisartikel.
Vinzenz Wyss: Es gibt zahlreiche Bezahlmodelle ebenso wie zahlreiche Anbieter. Online ist man oft nicht mehr auf einen Medientitel beschränkt, sondern konsumiert von verschiedenen Quellen.
Journalismus ist anspruchsvoller geworden. Es gibt neue Medien, Datenjournalismus, Personalisierung.
Detlev Gürtler: PR und Journalismus werden sich annähern müssen, um die Werbung zurückzuholen. Journalisten sollten analysieren, wofür ihre Leser zu bezahlen bereit sind, um die entsprechend relevanten Inhalte anzubieten. Strassenkünstler sind darin Experten.
Analogie zu Homer: Man wird nur bezahlt, wenn man eine Geschichte und Zuhörer hat. Das Umkehrkonzept ist, dass man Leser dafür bezahlt, dass sie lesen. Google zeigt einem was man sucht, Zeitungen zeigen auch, was es sonst noch interessanes gäbe. Die Leser sollten an den Einnahmen partizipieren können.
Res Strehle: Der Leser interessiert sich nicht für die Kosten des Verlags, das ist klar. Aber Qualität generiert Kosten, das weiss auch jeder.
Detlev Gürtler: Journalisten sollten ihre eigenen Brands aufbauen. Sie sollten es auch ohne Verlage schaffen können. Im konventionellen Buchmarkt landen 10% beim Autor. Im E-Book-Verfahren fällt der Verlags-Overhead weg, der Autor kann mehr verdienen, wenn er sich gut vermarktet.
Edith Holenstein: Als Einzelner wird es nicht möglich sein, die hohe Kadenz und Vielfältigkeit einer Redaktion anzubieten.
Vinzenz Wyss: Stars wie Constantin Seibts können allenfalls auch allein bestehen. Verlage sollten trotzdem versuchen, Starreporter zu halten, um die Kadenz, die hohe Taktung zu bieten.
Werbung ist dann auch heute noch erfolgreich, wenn Marken die Nähe zu Titeln wie Tages-Anzeiger suchen. Diese Form der Werbung ist bei Einzelmasken weniger interessant. Der Tages-Anzeiger muss aufpassen, nicht in die Traditionsfalle zu tappen und eines Tages als zu wenig modern wahrgenommen zu werden.
Detlev Gürtler: Grosse Anteile der heutigen Werbung wird verschwinden, weil die modernen Formate wie Facebook Seiten nicht mehr unterscheidet zwischen redaktionellen Inhalten und Werbung. Die Werbetreibenden werden selber ordentliche Geschichten erzählen wollen, Procter & Gamble beispielsweise wird sich im Bereich Kinderpflege positionieren. Dies erreichen sie nicht mehr via konventionelle Medien, sondern über Landing Pages, Blogs, etc. Sie werden sich nicht bei andern einbetten, sondern eigene Journalisten beschäftigen.
Res Strehle: Der direkt finanzierte Werbetext wird es schwierig haben, Glaubwürdigkeit zu erreichen.
Das visionäre Interview mit Detlev Gürtler findet man bei persoenlich.com: «Anzeigen werden im Laufe der nächsten 20 Jahre verschwinden«
Die Diskussion wurde nach dem Vortrag lebhaft auf Twitter unter #newmediasession weitergeführt.
Danke @WalterSchaerer für deinen Blogbeitrag http://t.co/hQHX3Wx8Uw zur #newmediasession und danke @remofehr und @luschair für eure Tweets!
— Stefan Steiner (@blogstone) September 12, 2013