Wir vertreiben uns Zeit mit Spielen – möglicherweise unsinnig, aber unterhaltsam. Gamification ist die Anwendung von Spielprinzipien in Applikationen, die kein Spiel an sich sind. Damit wird versucht, Nutzern Zeit für kommerzielle Anwendungen zu rauben, ohne dass es ihnen auf den ersten Blick als zeitraubend erscheint. Belästigend in vielen Fällen, aber meist sehr effektiv.
Jürg Stuker, CEO, Namics AG an Reto Hartingers Internet Briefing in Zürich.
Was motiviert uns, immer wieder Solitaire zu spielen? Was sind die Antriebsmechanismen?
Dan Ariely dokumentiert in seinem Buch «Predictable Irrational», die schönsten Studenten. Er manipulierte dann aber die Auswahl für eine erweiterte Testgruppe und entsprechend wurden dieselben Studenten nicht mehr als die schönsten empfunden.
Denselben Effekt kennt man aus dem Default von Auswahloptionen wie es Prof. Elgar Fleisch von der ETH Zürich sehr lebhaft als Persuasive Computing präsentiert.
Gamifizierung
Beim «tun» ärgert man sich ab und zu, beim «spielen» kaum. «Art of Game Design» ist eine gute Lektüre in diesem Zusammenhang.
Ranglisten machen einen klaren Unterschied zwischen guten und sehr guten Spielen: Mac Spiele verbinden sich mit dem Game-Center und erstellen Echtzeit-Ranglisten. Die Gamer sind sehr motiviert, im Ranking hochzukommen und allenfalls dort zu bleiben.
Rabatt- und Loyalitätsprogramme sind eine Variante von Games und deshalb sind sie so erfolgreich. Sie zielen auf einen sehr menschlichen Instinkt. Die Meilenprogramme von Airlines sind wohl eines der ersten und grössten Gamification-Programme: Kunden gehen so weit, Umwege zu fliegen, um mehr Meilen zu sammeln und später für einen Check-In auf dem roten Teppich einzutauschen.
Plötzlich geht es aber nicht mehr nur um das Spiel. Digitale Badges ersetzen frühere Orden, Auszeichnungen, etc. In Social Media werden die Badges kommuniziert und bei andern ein Bedürfnis geweckt, auch Orden zu sammeln. Aus Anbietersicht geht es darum, den Traffic zu steigern.
Die Restaurant Rating-Seite yelp.com nutzt diese Elemente, um User dazu zu bewegen, Business-Infos zu erstellen und dies sogar z.T. ohne Login. ‹Be the first to review‹ lockt die User zu First Mover Aktionen und entsprechenden Verdiensten.
Nike+ ist eine Lauf-Community inklusive Nike-Uhr und Lauf-Sensor, in der man seine Trainingseinheiten dokumentieren kann. Die Belohnungsskala ist nicht linear, die meisten User wissen aber meist recht genau, was es noch braucht, um auf den nächsten Level zu kommen.
Runkeeper verfolgt ein ähnliches Konzept und vergleicht die Trainingseinheiten mit denen von Freunden und erstellt dazu Ranglisten.
Moderne Personenwagen verfügen im Armaturenbrett über den Display einer virtuellen Pflanze. Je nach Fahrweise gedeiht die Pflanze oder eben auch nicht…
Der Status in Communities ist bei Games ein zentrales Element: Virtuell lässt sich potentiell eine Machtposition oder Funktionen zu erreichen, die IRL (in Real Life) nicht realistisch sind. World of Warcraft ist das bekannteste Beispiel eines Spiels, in dem der Status über die Online-Zeit beeinflussbar ist: Gamer heuern z.T. Andere an, die während ihren Ferien weiter für sie online sind.
Die virtuellen Punkte lassen sich anhäufen und in einigen Games in echten Cash verwandeln. Eltern können dadurch recht unter Zugzwang kommen…
Sogar SAP versucht sich in Unternehmens-Dashboards mit Allegorien aus dem Golfsport…
Auch für Aussendienstler werden Honorarsimulationen angeboten: Je nach Umsatz der heute gemacht werden kann, werden Visualisierungen und Ranglisten berechnet.
Ein häufiger Trieb für Online-Spiele ist Langeweile, ‹bored now›. Wenn man als Anbieter diese «tote Zeit» anpeilen kann, z.B. beim Pendeln, kann dies sehr attraktiv sein.
Intrinsische Motivatoren wie zusätzliche Funktionen, roter Teppich, sind stärker als die direkte Belohnung durch das Rüebli/Cash. Belohnung ist aber trotzdem stärker als Bedrohung, man sollte «Lust auf mehr» fördern, statt etwas wegzunehmen. Dazu muss man ein durchgängiges Feedback zur Zielerreichung anbieten. Game-Entwickler sagen, man sollte spätestens nach 7 Minuten ein grosses Erfolgsmoment erleben können.
Fazit:
– Beobachtete Personen leisten mehr
– Freiwilligkeit muss die Basis sein
– Es soll mindestens einen Grund geben, zurückzukommen
– Ein gutes Verständnis der Zielgruppe ist entscheidend
Update 14.5.2012:
Forbes mit einem Artikel über Gamification: Gamification Grows Up to Become a CEO’s Best Friend
Update 2.8.2012:
Auch im Job-Umfeld werden jetzt Gamification-Elemente eingesetzt. Emplido, die Facebook-App von Experteer, versucht die Facebook-Kontakte für Ratings und Rankings zu nutzen und den Nutzern nebenbei auch Stellen vorzuschlagen.