Alles, sofort, immer, überall und gratis – Medienrezeption im Umbruch. Podiumsdiskussion mit Pietro Supino von Tamedia, Christine Maier vom Sonntagsblick und Veit Dengler, NZZ. Wir waren gespannt…
Communications Summit, eine Veranstaltung des Zürcher Pressevereins (ZPV) und der Zürcher PR-Gesellschaft (ZPRG)
Der Communications Summit 2014 befasst sich mit dem rasanten Umbruch der Medienrezeption und der digitalen Herausforderung für Anbieter und Vermittler von Inhalten und Informationen.
Heute fallen Daten in grossen Mengen und sehr schnell an, am liebsten würde man daraus auch noch wichtige Erkenntnisse ziehen. Big Data ist das Stichwort der Stunde. Aber was bedeuten die neuen Datenverhältnisse für den Journalismus?
Die digitale Herausforderung: 5 aktuelle Trends
Einführung von Pietro Supino, Verleger und Verwaltungsratspräsident Tamedia AG
Ungewissheit ist nichts Negatives! Wir sollten es als Chance begreifen, denn Ungewissheit ist per se ergebnisoffen…
1. Das mediale Angebot hat sich vervielfacht
Es gab noch nie so viel Niveauloses, aber auch noch nie so viel Niveauvolles!
Aber, die verfügbare Zeit für den Medienkonsum ist bei uns allen dieselbe geblieben. Der Kampf um die Leserschaft hat sich intensiviert.
2. Das Medienangebot hat sich fragmentiert
Die Rubrikeninserate sind ins Internet abgewandert, wo neue, hart umkämpfte Geschäftsmodelle entstanden sind. Deren Eigenheiten haben Verleger nicht von Anfang an verstanden, weshalb jetzt «Jahre später» erfolgreiche Rubrikenplattformen wie jobs.ch für teures Geld eingekauft und mit den eigenen Plattformen wie jobwinner.ch fusioniert werden.
3. Der Kostendruck hat enorm zugenommen
Der Kostendruck wird voraussichtlich noch zunehmen. Andere Branchen wie die Telekomindustrie sind da schon einige Schritte weiter.
Gratiszeitungen (Tamedia-intern «Pendlerzeitungen» genannt) sind nicht der Sündenfall, der Gratisangebote zur Verfügung stellt, sondern Ursprung einer Positiv-Spirale. Sie erhöhen den Qualitätsdruck auf andere Publikationen.
Pietro Supino: «20 Minuten hat die Tageszeitungen gezwungen, noch besser zu werden. Und genau das ist geschehen.» #comsum14
— Christoph Zimmer (@christophzimmer) February 4, 2014
4. Der Strukturwandel ist in vollem Gange
Die Volumen verschieben sich rasant von gedruckten zu digitalen Medien. Tendenziell wird es künftig weniger Zeitungen geben. Die Meinungsführerschaft reicht heute nicht mehr um zu bestehen, Medien müssen täglich Wahlmöglichkeiten bieten und zu relevanten Themen berichten (Da bin ich persönlich ganz anderer Meinung).
5. Die Desintermediation ist Tatsache
Dank der neuen technologischen Möglichkeiten finden Kontakte vermehrt ausserhalb der traditionellen Medien statt. Die öffentliche Meinung bildet sich auf verschiedenen, allenfalls nicht mehr synchronisierten Kanälen.
Bewahrung ist in diesem Umfeld keine zukunftsträchtige Strategie. Die neuen Möglichkeiten müssen genutzt und in allenfalls neue Geschäftsmodelle umgemünzt werden.
Kooperation und Innovation als Ãœberlebensstrategie
Kooperationen und Innovationen werden zentral sein: Via Kooperationen kann mit weniger Ressourcen mehr geleistet werden. Auch die kritische Grösse kann so einfacher erreicht werden.
Beispielhaft wird der «Bund» angeführt. Die eigentlich zu kleine Zeitung kooperiert erfolgreich mit dem Tagesanzeiger: Die Bundeshausberichterstattung kommt vom «Bund» aus Bern, die restlichen Inhalte aus Zürich.
Auch die Zürcher Regionalzeitungen beziehen z.B. Visualisierungskompetenz für Infografiken von der «Berner Zeitung». Diese wiederum kooperiert auch mit dem «Bund», so dass trotz der reduzierten Ressourcen eine erstaunliche Medienvielfalt entsteht.
Auch der Traffic-Fund zwischen den verschiedenen Online-Titeln von Tamedia ist ein Beispiel von Kooperationen.
Und nicht zuletzt analysiert auch Tamedia Big Data, um ihre Werbeangebote zielgerechter auszusteuern.
Auch im Print-Bereich gibt es Kooperationen: Die Basler Zeitung oder das Bieler Tagblatt werden bei Tamedia gedruckt, obwohl die Titel nicht zu Tamedia gehören.
Joint-Ventures schliesslich existieren in Luxemburg, im Tessin (20minuti) und in der Schweiz (jobs.ch wurde zusammen mit Ringier akquiriert).
Innovation basiert heute auf Technologie. Besonders Journalisten sehen sich gern als Opfer der modernen Zeit. Google wird oft die Schuld zugewiesen. Aber für die meisten von uns ist Google ein Segen und auch Journalisten beginnen ihre Recherchen oft in Suchmaschinen. Einmal ganz abgesehen davon, dass Google einer, wenn nicht DER wichtigste Traffic-Lieferant von Medientiteln ist.
Der neu entstehende Datenjournalismus ist ein neuer Tätigkeitszweig, der erst überhaupt durch Technologie ermöglicht wird.
Auch der Lokaljournalismus, z.B. bei der Tribune de Genève, kann dank des Digitalen viel mehr in die Tiefe gehen, als dies in einem homogenen Print-Titel möglich ist.
Auch Social Media ist ein neuer Informationskanal, der erweiterte Möglichkeiten eröffnet: Wikipuls misst beispielsweise die Glaubwürdigkeit von Wikipedia-Autoren, indem Vielschreiber daran gemessen werden, wie oft sie korrigiert werden.
Algorithmen bieten also neue Effizienzsteigerungen, neue Geschäftsmodelle und neue Herausforderungen: Werden Texte künftig von Algorithmen geschrieben? Zum Beispiel Börsenanalysen?
Auch in der Qualitätssicherung bieten die neuen Technologien Opportunitäten: An der Brown University wird die Schnittstelle erprobt zwischen Analysen und Texten. Ist ein Text tendentiell geschrieben oder nicht? Software-Algorithmen bieten hier Hand, Texte auf ihre Position hin einzuordnen.
Die Finanzierung des Journalismus läuft heute immer noch via Lesermarkt (Abos) und Anzeigenmarkt (Inserate). Neue Einnahmequellen sind allenfalls via Big Data zu erschliessen.
Die aktuellen Umbrüche machen aus Tamedia noch kein Technologiehaus. Aber Technologie ist genau so wichtig wie in vielen andern Branchen auch. Die Freiheitsgrade nehmen durch die Konvergenz tendenziell ab. Dies ist aus Sicht der Journalisten negativ. Gleichzeitig müssen wir lernen, mit der Komplexität der Technologie umzugehen, um Zeit für die Inhalte zu gewinnen und die neue Interaktion mit den Lesern zu üben.
Die Medienbranche befindet sich in einem kolossalen Umbruch. Dies führt bei den Mitarbeitern zu Verunsicherung, die allenfalls auch in Unzufriedenheit münden kann. Gleichzeitig war der Journalistenjob wahrscheinlich aber auch nie so interessant, kann man sich heute doch im Storytelling, potentiell sogar multimedial, im Datenjournalismus und vielen weiteren Gebieten hervortun.
Christine Maier, Chefredaktorin «Sonntagsblick», Ringier AG
Der SonntagsBlick ist nicht die siebte Ausgabe des Blicks, sondern eine eigenständige Publikation für gehobenen Boulevard.
Es muss immer nebensächlicher werden, auf welchem Kanal man publiziert: Man muss relevanten Content bieten, damit man überhaupt gelesen wird, egal in welchem Medium.
Journalismus ist weiterhin ein toller Job: Man kann direkt fragen, es gibt unzählige interessante Themen. Aber ja, die Frage der Finanzierung stellt sich immer pointierter.
Für Journalisten stellt sich wie für alle andern Leser auch das Problem der Informationsüberflutung. Gleichzeitig müssen sie die Ãœbersicht bewahren, um noch die richtigen Fragen stellen zu können.
Veit Dengler, CEO NZZ
Der Journalismus verändert sich durch die neuen Mittel.
.@veitdengler liest während der Diskussion auf seinem Smartphone. Ob er gleich auch noch vom Podium twittert? #comsum14
— Zürcher Presseverein (@presseverein_zh) February 4, 2014
Die Preissysteme für journalistische Produkte müssen flexibilisiert werden, da auch die Ausgabekanäle variabler geworden sind. In der Airline-Branche ist es sogar üblich, für dieselbe Dienstleistung, den Sitz, unterschiedliche Preise zu verlangen…
Die Konvergenz der Redaktionen kann Mitarbeiter überfordern. Aber sie ist gleichzeitig auch ein Gebot der Stunde: Generalisten erstellen relevante Inhalte, Spezialisten bespielen die verschiedenen Kanäle und Technologien.
Ich mag den Vergleich: Journalist ist der Produzent des Rohstoffes, welcher durch "Kanalprofis" veredelt wird. #ComSum14
— Cordin M. Camenzind (@cordincamenzind) February 4, 2014
Bei den Recherchen der grossen Geschichten darf nicht gespart werden. Sie sind zentral für Qualitätsjournalismus. Und Schleichwerbung soll es auch keine geben. Wobei…
"@nick_luethi: Native Advertising? Kein Thema für @NZZ und @Tamedia #ComSum14" ausser im Auto-, Lifestyle- und Reiseteil ?
— Andreas Jäggi (@JaeggiAndreas) February 4, 2014
Die Gesprächsleitung der Podiumsdiskussion hatte Reto Lipp, Moderator Schweizer Fernsehen SRF, «ECO».
Schlusswort: “Für uns als Tamedia wäre es besser, wenn es einen GAV in Deutschschweiz gäbe”: Pietro Supino, Verleger Tamedia #ComSum14
— Nick Lüthi ✎ (@nick_luethi) February 4, 2014
Noch etwas pointierter wurde die Zukunft des Journalismus an einer kürzlichen Podiumsdiskussion von Constantin Seibt diskutiert.
Das Einzige was da klar wurde, ist, dass niemand weiss, wie es weitergeht…