Journalismus wie wir ihn heute kennen, ist nicht mehr bezahlbar: Den Zeitungen laufen die Leser davon und damit auch die Werbegelder und online bezahlt kaum jemand für Inhalte. Die Verleger reagieren mit Sparrunden in den Redaktionen und mit Diversifizierung in online Geschäftsmodelle wie Immobilien- und Stellenbörsen. Wie geht es jetzt aber für Journalisten weiter?
Genau diese Frage stellte Starblogger und Autor Constantin Seibt einer handverlesenen Runde von Koryphäen ihres Fachs: Von Tages-Anzeiger Chefredaktor Res Strehle als die Besten der Zunft angekündigt, diskutierten Mamabloggerin Michèle Binswanger vom Zürcher Tages-Anzeiger, Christof Moser von Schweiz am Sonntag, noch NZZ Digitalchef Peter Hogenkamp, Daniel Binswanger vom Tagi Magazin und «ich han’s erfunde» Roger Schawinski.
Tatsächlich war das Programm eine vermeintlich hochkarätige Ansage, wie es nämlich mit dem Journalismus im 21. Jahrhundert weitergehen solle. Und da einer mit so brillanter Feder wie Constantin Seibt moderieren würde, füllte sich das Theater am Neumarkt bis auf den letzten Platz und noch mehr.
Nach einer humorigen Einführung von Constantin Seibt legte sich die Spannung allerdings je länger je mehr. Das wenige Wichtigste, das gesagt wurde, steht bei Edito +Klartext fein säuberlich zusammengefasst. Auch persoenlich.com hat treffend berichtet.
Und noch kürzer bringt es E-Commerce Spezialist Thomas Lang auf den Punkt:
https://twitter.com/thlang/status/405464618903928832
https://twitter.com/thlang/status/405436339891347457
Kurz und bündig. Twitter halt.
Und Musikkenner Michel Ganouchi meinte:
Das deckte die Meinung vieler anderer Twitterer. Begeisterte Voten konnte ich jedenfalls im Twitter-Stream unter dem denkbar ungünstigen Hashtag #deadline nicht ausmachen. Die «Besten der Zunft» waren tatsächlich erstaunlich ratlos, was die Zukunft des Journalismus betrifft. Die Fragen von Moderator Constantin Seibt waren aber allenfalls auch suboptimal, denn «Was – zum Teufel – würden Sie tun, wenn Sie einen Zeitungsverlag erhielten» ist wahrscheinlich weder eine praktische Frage noch wirklich weiterführend. Diese Frage betrifft in der Schweiz ja auch nur eine Handvoll Gutbetuchter und denen geht es finanziell offensichtlich blendend. Tamedia jedenfalls soll schon seit vielen Jahren bestens aufgestellt sein: Der visionäre CEO Martin Kall und sein umtriebiger VR-Präsident Pietro Supino haben grossartige Arbeit geleistet, wenn man bedenkt, dass ihre Inserateeinnahmen in den letzten 10 Jahren um 90% (!) abgenommen haben… Kommt noch dazu, dass Tamedia neulich einen Online-Beirat ins Leben gerufen hat, der das Medienhaus beraten wird. Wir brauchen uns also um den Verlag wirklich keine Sorgen zu machen, Hansi Voigt!die situation der verlage erinnert schwer an die plattenmultis in den 90ern. was daraus wurde, wissen wir... #journalismus #deadline
— Michel Ganouchi (@ganouchi) November 26, 2013
Schon eher sorgen sollte man sich allenfalls um Journalisten, denn der Beirat beschäftigt sich mit der «digitalen Entwicklung», nicht mit «Online Journalismus»… Und wenn Axel Springer CEO Dr. Mathias Döpfner explizit bekräftigt, dass ihre Online-Verzeichnisdienste auch unabhängig vom Journalismus funktionieren – im Gegensatz zu den Print-Verzeichnissen – dann ist klar in welche Richtung die Reise geht: Verleger brauchen Journalisten nicht mehr."Man kann nicht Verleger fördern, die mit Gewinn Abbauprogramme fahren", sagt @hansi_voigt am #JourTag13 pic.twitter.com/MNaSF8K1lJ
— Vinzenz Wyss (@VinzenzWyss) November 6, 2013
I first want to confirm your observation that it’s true that classified players can do their business independent from journalism. And that’s a big difference to the analog world. We have to take this into account and not fool ourselves.Den Rest seiner Aussage können wir getrost als Beruhigungspille für seine Noch-Journalisten einordnen:
On the other hand I don’t give up the idea that there can be certain positive effects and synergies if you closely co-operate with print and offer multimedia bundles, which we are doing, and if you also use your print reach in order to drive the online traffic.Wie dem auch sei, die wenigen wirklich interessanten Aussagen kamen naturgemäss vom einzigen Nicht-Journalisten am Tisch: Peter Hogenkamp, die letzten drei Jahre bei NZZ für die Digitalstrategie zuständig, zuvor aber als Gründer von Zeix (Usability-Agentur) und Blogwerk (Blog-Dienstleister) online-unternehmerisch tätig, sagte – zwischen den Zeilen – dass natürlich die Inhalte relevant bleiben, dass aber Software-Algorithmen entscheidend sein werden. Dass Journalisten nicht zu dieser Einsicht kommen können, ist klar, denn, so Innovationsforscher Tom Kelley von IDEO:
I’m not sure who invented water, but I’m sure it wasn’t a fishWie in vielen anderen Fällen wird es also auch im Journalismus so sein, dass nicht die Insider, sondern Branchenfremde die Innovationen werden stemmen müssen.
Mit Journalismus lässt sich kein Geld mehr verdienen
Dabei ist es als Aussenstehender recht offensichtlich: Mit Journalismus lässt sich kein Geld mehr verdienen. Oder nicht direkt. Aber das war ja auch schon bisher so: Nur dank Werbeeinnahmen war es Verlagen möglich, Journalisten zu entlöhnen. Nur, was geschieht eigentlich, wenn Werbegelder in neue Kanäle abfliessen? Dorthin nämlich wo die Nutzer sind? Sagen wir mal Facebook, YouTube oder so und wo man messen kann, was man für den Werbefranken erhält? Das Werbenetzwerk Zanox dazu:Künftig werden wir noch besser in der Lage sein, die Erfahrungen und die erweiterte Technologie-Kompetenz im Real-Time Bidding und Data Driven Advertising auch in unser Affiliate Netzwerk einzubringen.Wer journalistisch tätig ist und hier nur Bahnhof versteht: Hierhin sind die Werbegelder abgewandert! Wer sich direkt via Schreibe finanzieren will, sollte sich ernsthaft mit Click-Through-Rates CTR, Cost-per-Click CpC und Return-on-Investment ROI befassen, um die Sprache seiner potentiellen Auftraggeber zu verstehen. Wie das geht, hat Jana Lavrov bei torial aufgelistet. GDI-Mann Detlef Gürtler hat zu diesem Thema wegweisende Ansichten:
Anzeigen werden in den nächsten 10 Jahren verschwindenWeil Firmen ihre eigenen Publikationen haben werden, statt in Zeitungen zu inserieren, die niemand liest. In diesen Publikationen wird es keine Werbung haben, weil das ganze Konstrukt Werbung ist. Hans-Udo Sattler hat zum Thema PR-gesteuerte öffentliche Meinung interessante Einblicke aus Amerika zusammengetragen. Sein Artikel heisst Die Wahrheit? – PR übernimmt den Journalismus. Gemäss Daten des US Bureau of Labor Statistics soll sich das Verhältnis von PR-Schreibern zu Journalisten von 1.25 im Jahre 1980 auf 3.6 im Jahre 2008 vergrössert haben… Die PR-Industrie beschäftigt in Amerika also bereits mehr als drei Mal mehr Journalisten als privatwirtschaftliche Verlage. McChesney, Professor für Kommunikation an der University of Illinois dazu:
Was wir jetzt sehen, ist der Niedergang des Journalismus; in der gleichen Zeit erleben wir eine zunehmende PR und PropagandaGerade kürzlich kam mir ein Hochglanzmagazin von Omega zwischen die Finger: Es drehte sich praktisch alles um Golf, der Text über den Ryder’s Cup war gut recherchiert und sehr ausführlich. Für diese Art von Berichten wird es Journalisten brauchen, ihr Fokus wird aber allenfalls etwas enger sein als heute.
Woher unsere Nachrichten kommen
Offensichtlich haben Verlage heute die Informationshoheit verloren. Wir informieren uns nicht mehr bei unserer «Hauszeitung», sondern dort, wo uns relevante Inhalte geboten werden, allenfalls sogar kuratiert auf unsere ganz individuellen Bedürfnisse. Diesbezüglich stapfte Daniel Binswanger von Das Magazin mit bedenklich traumwandlerischer Sicherheit auf dem Holzweg. Etwas Hintergrundlektüre zum Thema personalisierte News findet er aber glücklicherweise hier bei mashable.com. Und falls er auch über die Personalisierung bei Flipboard nachlesen will, Holger Schmidt vormals FAZ, jetzt FOCUS hat einen schönen Artikel zusammengestellt zum Thema Journalismus 2.0. Wenn schon hätte man ihn am Tisch haben müssen… In diesem Sinne habe ich höchste Bedenken um Watson, das neuste mit viel Spannung erwartete Online-Journalismus Projekt: Sie mögen zwar bei 20 Minuten Online für einen Exodus aus der Redaktion gesorgt haben, sollte sich What’s On aber tatsächlich «nur» zwischen Newsnetz und 20 Minuten Online positionieren, dabei aber anfänglich nicht von einer starken Marke profitieren können, dürfte es schnell recht eng werden für die Jungunternehmer vom hippen Zürcher Westend. Initiator Hansi Voigt dazu:Watson wird nichts drucken müssen, sondern kann sich ganz auf das Medium Internet konzentrieren. Vielleicht ist das schon das ganze Geheimnis.Denke nicht, dass das reichen wird, weil:
Personalisierte News-Streams
Facebook leistet die individuelle Informationsaufbereitung mehr schlecht als recht, Google+, Twitter oder Paper.li sind schon etwas besser, Swayy oder Genieo.com können es am besten: Hier wird basierend auf dem persönlichen Surfverhalten eine News-Seite zusammengestellt, die es in sich hat! Die Inhalte werden von allen Webseiten zusammengezogen, die man neulich besucht hat. Entsprechend hoch ist die Relevanz der Informationen. Ob die News von Blogs, Webseiten oder News-Portalen stammen, interessiert an der Stelle nicht mehr. Sind die Inhalte gut, liest man sie, ansonsten kann man mangelhafte Einblendungen auch ausschalten. Pro Ressort der News-Quelle oder auch komplett. Indirekt heisst das natürlich auch, dass man Informationen unabhängig davon konsumiert, ob der Journalist oder Blogger bezahlt wurde oder nicht und ob er einem Verlag angehört oder nicht. Und wenn zu einem Verlag gehörend, dann interessiert nicht wirklich zu welchem: Man konsumiert ja einfach den interessanten Artikel. Hier ist der NZZ-Versuch mit dem personalisierten Stream «fast» gut, nur – weshalb sollte ich mich in meiner Auswahl auf nur einen Titel reduzieren lassen? Interessanterweise muss ich zugeben, dass in meinem Genieo-Feed auffällig viele Artikel der NZZ landen, obwohl ich deren Inhalte auf Papier nie konsumiert hatte. Die Aufmachung der kleingedruckten Bleiwüste hatte mich immer davon abgehalten… Das Problem für Verleger ist dabei natürlich, dass sie sich direkt mit Google messen lassen müssen, wenn sie den Horizont der eigenen Titel verlassen. Denn Google News beispielsweise lässt sich recht stark auf die eigenen Bedürfnisse zuschneidern: Man kann die Quellen anpassen und die Gewichtung der zu berücksichtigenden Themen. Etwa so: Und mit rayneer.tv gibt es bereits erste Versuche, auch das Fernsehprogramm zu personalisieren…Leben in einer Filter Blase
Logisch begibt man sich mit Systemen wie Genieo oder Google News in eine von Eli Pariser berühmterweise «Filter Bubble» genannte Abhängigkeit: Man konsumiert ja «nur» noch, was einem ein Software-Algorithmus vor die Nase hält. Dasselbe gilt übrigens für die durch Googles Page Rank individualisierte Trefferliste oder die durch Facebooks Edge Rank priorisierte Timeline… Ich halte diese Diskussion für total übertrieben, befinden wir uns doch sowieso ständig in einer Filter Bubble, wenn wir nur unserem Lieblingsradiosender lauschen, nur die News von Blick oder 20 Minuten nachschlagen oder nur auf Deutsch lesen. Was ist denn mit dem grösseren Teil des Internets, den wir gar nicht lesen können, weil Spanisch oder Chinesisch? Chinesisch anyone? Und waren nicht Journalisten früher für unsere Filter Bubble zuständig? Sie haben doch die Weltneuheiten nach potentiell Interessantem durchforstet und uns am nächsten Tag ihre Auswahl via Zeitung präsentiert? Ohne nach unseren persönlichen Interessen zu fragen? Jetzt sind wir immerhin einen Schritt weiter, indem heute in Twitter steht, was morgen in der Zeitung gedruckt ist. Mit dem kleinen Haken, dass meine Twitter-Timeline personalisiert ist und die Zeitung nicht…Aber kehren wir zurück in die Zukunft.
Nachdem wir nun also Texte plattform- und verlagsunabhängig konsumieren (Journalisten wechseln ja sowieso regelmässig zwischen den grossen Verlagen hin und her, was soll man sich da unnötig auf ein Verlagshaus beschränken?), wird es immer schwieriger mit der Refinanzierung der journalistischen Recherche und Informationsaufbereitung. Weder bezahlt man noch ein Abo für eine einzelne Zeitung, noch entschädigt man den einzelnen Artikel… Blogger schreiben sich beispielsweise mit viel Engagement die Finger wund, ihren Lohn organisieren sie sich selber via Sponsoring oder Werbung. Einen Verlag haben sie meist nicht mehr, dessen Aufgaben wie Vermarktung, Branding, Akquisition, Technologie, SEO, SEM, Analytics, etc. übernehmen sie meist notgedrungenermassen gleich selbst. Solches meinte Michèle Binswanger wohl mit ihrem Aufruf, dass man als Journalist eine «dezidierte Haltung» einnehmen müsse und sich praktisch als Marke zu etablieren habe. Ihr und Michèle Roten von Das Magazin ist das jedenfalls bereits gelungen. Was das für meinungsmachende Blogger auch noch heissen kann, hat Daniel Fürg in social-secrets.com schön beschrieben. Dass die verlegerischen Aufgaben auf Kosten der Recherche- und Formulierungszeit gehen, ist offensichtlich. Und dass es schwierig ist, sich in einem solch fragmentierten Umfeld einen nennenswerten Lohn zusammenzukratzen, liegt auf der Hand. Entsprechend kristallisieren sich bereits neue Berufsformen heraus wie «Blogoptimierer», die im Hintergrund für technische Verbesserungen sorgen, damit beispielsweise eine Blogseite schneller lädt. Google mag das ja bekanntlich, weil eine kürzere Ladezeit für eine bessere User-Experience sorgt. In diesem Sinne hatte ich an der Podiumsdiskussion nicht den Eindruck, dass die Journalisten verstehen, wie schnell sich das Leseverhalten der Konsumenten ändert. Zu diesem Thema hat Martin Weigert vom Blogwerk-Blog netzwertig.com Interessantes zusammengestellt. Und auch Kurt W. Zimmermann schreibt in der Weltwoche treffend über die Jungen:Sie nutzen Blogs, Engines und soziale Netzwerke, welche ihre gesuchten Inhalte vorfiltern. Sie brauchen niemanden von den alten Medien, der sie altväterlich an der Hand nimmt und durch den dunklen Wald führt.So viel zu der vielbeschworenen «Einordnung» durch gestandene Journalisten. Und zum Schluss noch einmal Moderator Constantin Seibt:
Weitere interessante Beiträge zur Zeitungsdebatte hat Spiegel Online hier zusammengestellt. Und Spiegel-Reporter Cordt Schnibben hat auch ein paar interessante Thesen, aber sein Konzept für eine Abendzeitung wird auch nicht funktionieren. Nochmal: Weshalb sollte ich mich heutzutage nur auf einen Verlag beschränken, wenn mir Tools wie Swayy oder Genieo.com weltweit interessante Beiträge zusammenstellen?Deadline-Debatte überlebt. Kaum Erinnerung, dafür Erleicherung. Und die Klarheit: Klarheit noch nicht da. Also weiterdenken. Thanks an alle!
— Constantin Seibt (@ConstSeibt) November 27, 2013
Fazit: Verleger kümmern sich um ihre Zukunft, nicht um Journalisten
Klarer als Axel Springer CEO Döpfner kann man es nicht sagen: Die zukunftsträchtigen Geschäftsfelder von Verlegern liegen im skalierbaren Online-Geschäft. Journalisten braucht es dafür nur ausnahmsweise. In diesem Sinne ist der Abbau von Journalistenstellen nicht als «Stellenabbau» zu sehen, sondern als Anpassung des Geschäftsmodells. Und zwar unsentimentalerweise dorthin, wo die Werbegelder hinfliessen. Dass das die institutionalisierten Öffentlichkeitsebenen durcheinanderbringen könnte, die öffentliche Selbstbeobachtung untergräbt und letztendlich die Demokratie gefährdet, ist denkbar. Aber Verleger sind Unternehmer und werden sich schnell mal fragen, weshalb denn gerade sie aus dem eigenen Sack die Demokratie retten sollten, wenn die wegbrechenden Werbegelder diese Funktion nicht mehr ermöglichen? Das wäre dann auch noch schön – Demokratie schuldet ihr Dasein den Werbegeldern? Anyway, Journalisten haben aktuell die Wahl,- weiter bei einem Verleger zuzusehen, wie die Werbegelder schwinden
- gemäss Detlef Gürtler ins Lager der PR-Schreibenden zu wechseln
- gemäss Peter Hogenkamp eine eigene Marke aufzubauen und selbst zu publizieren
- wer hat weitere Vorschläge?