Sandro Graf von FehrAdvice & Partners AG über unser Verhalten und soziale Netze: Wieso treffen wir immer wieder unvernünftige Entscheidungen? Wieso ist gratis meistens ein so starker Magnet? Welche Einflüsse bestimmen unser Verhalten und unsere Entscheidungen?
Verhaltensökonomie und Social Media – Internet Briefing
Vortrag am Internet Briefing Zürich.
Wir kennen alle optische Täuschungen, z.B. grosse und kleine Kreise, Farbflächen auf einem farbigen Würfen, etc. Unser Auge verzerrt den visuellen Eindruck. Auch nach dem Weglassen graphischer Überprüfungshilfen erhalten wir wieder den falschen Eindruck, wir lernen also nichts dabei.
Die Verhaltensökonomie beschäftigt sich systematisch mit ähnlichen menschlichen Entscheidungskompetenzen. In der Finanzkrise war die «Sucht nach Rendite» eines der Hauptprobleme.
Menschen mögen keine Veränderungen, werden von andern beeinflusst, sind nicht nur uneigennützig, wollen sich gut fühlen, leben im Hier und Jetzt, lassen sich von ihrer Umwelt beeinflussen, treffen relative Entscheidungen.
Das Hirn kann intuitiv (schnell, automatisch, implizit, emotional) oder logisch (kognitiv-reflexiv) entscheiden (langsam, bewusst, anstrengend, explizit, logisch).
Abonnemente von Zeitschriften wie The Economist sind sehr bewusst aufgebaut: Da der Mensch Auswahl will, wird sie ihm geboten. Allerdings sollte der Entscheid einfach sein.
Der Economist setzt also mit einem bestimmten Preis einen Referenzpreis und lässt daneben weitere Optionen teuer oder günstig aussehen.
Mit dem Salär ist man meist zufrieden, bis man einen höheren Referenzlohn kennt.
Auch die durchgestrichenen Preise bei Aktionen setzen den reduzierten Preis in Bezug zum höheren Originalpreis.
Eine Untersuchung über Organspenden zeigt, dass der Unterschied sehr stark mit dem Formular zusammenhängt: In Ländern wo viel gespendet wird, muss man per opt-out bekanntgeben, dass man nicht spenden will.
Umgekehrt muss man in Deutschland oder der Schweiz bekanntgeben, dass man Organe spenden will (opt-in). Der Unterschied basiert also nur auf den ‹Defaults›, den Standardeinstellungen des Formulars.
Weitere beeindruckende Beispiele hat Professor Fleisch kürzlich am Requirements Day präsentiert.
Auch in einem Roulette-Experiment konnte man die Beeinflussung durch die Testanordnung nachweisen: Erhält man zuerst etwas und wird es einem wieder weggenommen, so führt der vermeintliche «Verlust» zu einer höheren Risikofreude.
Ein Verlust wird stärker wahrgenommen als ein Gewinn.
Schlecht laufende Aktien werden oft nicht verkauft, weil der Verlust schmerzt. Umgekehrt werden Gewinne oft nicht realisiert, weil der Gewinn nicht so stark empfunden wird.
In einem weiteren Versuch wurden Hersheys zu 1 Cent und Lindor Kugeln zu 15 Cent angeboten. Den meisten Usern waren die Lindor Kugeln die 15 Cent wert.
In einem weiteren Schritt wurden beide Optionen um 1 Cent reduziert, also gratis gegen 14 Cent. Plötzlich entschied sich die Mehrheit für das Gratisangebot.
Amazon macht dies mit den Versandkosten auch so: Für ein Buch kostet der Versandpreis x, für zwei Bücher ist der Versand kostenlos.
Entsprechend steigen die Verkaufszahlen für mehrere Bücher.
Auch eine Money-Back Garantie ist ein ähnliches Verfahren, das Risiko für den Käufer wird reduziert.
In einer weiteren Anordnung wurde getestet, ob in einem Interview ein warmes oder kaltes Getränk hilfreicher ist. Wer ein kaltes Getränk erhielt, würde die Personen eher nicht einstellen, bei warmen Getränken eher schon.
Wird man in eine Diskussion über Hooligans verwickelt oder in eine über Professoren, so ist man in anschliessenden Geschicklichkeitsspielen im Falle der negativen Hooligan-Diskussion eher schwächer oder entsprechend stärker bei positiven Diskussionen.
Eine weitere Anordnung fragt: Zwei Personen erhalten Geld, wenn Person B das Angebot zum Teilen von Person A annimmt. Sonst verlieren beide das Geld.
Und in einer weiteren Anordnung: Die zweite Person gibt freiwillig Geld zurück.
Das erste Experiment ist ein «Ultimatum-Game»: Beide können verlieren. Das zweite ist ein «Investment-Game» oder «Trust-Game»: Man muss der andern Person vertrauen.
Die Erfahrung zeigt, dass umso mehr zurückkommt, je mehr man gibt. Im «Diktator-Game», man kann geben so viel man will, werden meist ca. 10-20% gegeben.
Menschen handeln nicht nur rational oder nur dem eigenen Nutzen verpflichtet. Menschen lassen sich auch durch soziale Normen und entsprechende Präferenzen beeinflussen.
Ungleichheitsaversion, Altruismus, Neid und Boshaftigkeit, Reziprozität / Gegenseitigkeit sind die vier relevanten Verhaltensprinzipien. Unternehmen müssen dies in ihren Social Media Initiativen berücksichtigen: Wie werden sich die eigenen Nutzer verhalten? Wie ist das für Banken, wie für Google oder Apple?
Apple kooperiert wenig mit den Nutzern, sie diktieren die Produkte und Preise (mit entsprechender Marge). Google hatte bisher eine hohe Barriere bezüglich Vertrauen. Mit Google Plus unternehmen sie eine neue Initiative, dies zu überbrücken.
Unternehmen wünschen sich, dass ihr Like-Button auch ohne Wettbewerb geklickt wird.
Dies beginnt, wenn wir uns mit dem Produkt zu identifizieren beginnen: Wie bei Ikea hat das Produkt am Schluss mehr Wert, weil wir uns damit befasst haben.
Firmen müssen sich die Fragen stellen
- Cooperation: Besteht eine (gegenseitige) Kooperationsbereitschaft?
- Value: Welche für die Kunden nützliche Leistungen ist das Unternehmen bereit zu teilen?
- Belief: Sehen Kunden das Unternehmen als glaubwürdigen Kooperationspartner?
Punktesysteme wie bei Migros und Coop sind transaktional: Wir geben unsere Daten, sie geben uns einen Rabatt.
Ein möglicher Nutzen daraus wäre, dass wir aus unseren Nutzerdaten Ernährungsempfehlungen erhalten würden.
Google Plus
Diskussion: Im Publikum herrscht die Meinung vor, dass Google Plus gleiche oder sehr ähnliche Funktionalität bietet wie Facebook, aber einfacher zu benutzen ist und die Privacy-Einstellungen granularer einstellbar sind.
Vermutlich wird aus diesem Zweikampf Twitter als Verlierer hervorgehen: In Google und Facebook wird man voraussichtlich weiterhin den ganzen Tag eingelogged bleiben. In Twitter braucht man das nicht zu sein.
Auch Microsoft oder MSN müsste ein Kandidat sein, um den ganzen Tag eingelogged zu sein. Mit Skype könnten sie dies schaffen.
Zudem ist Google jetzt für aktuelle News Updates nicht mehr auf die Twitter Firehose (Datenstrom) angewiesen, zumal der entsprechende Vertrag eh am 2. Juli abgelaufen ist.
Neu setzt man auf das eigene Google +1 und Google Plus.
Google hat wohl auch das grösste Potential, verschiedene Dienste wie Suchresultatliste, Mail, Office, Kalender, Photos, etc. zusammenzubringen.
Entsprechend werden Picasa zu Google Photos und Blogger zu Google Blogs umbenannt.